STEFAN SCHUMACHER

Sprachliche Wohlgeformtheit

im Spannungsfeld von Theologie und Spiritualität

Die religiösen und ethischen Grundüberzeugungen sowie die Sinn- und Werteorientierungen unterliegen einem raschen und fundamentalen Wandel. Allerdings kann hier nicht einfach von einem generellen Werteverlust gesprochen werden, wie in traditionellen Kreisen gerne einseitig geurteilt wird, vielmehr macht sich eine doppelte Verschiebung wahrnehmbar: ein Schwund der Anhängerschaft bei den großen Kirchen einerseits, und zugleich ein Aufblühen an religiösem Interesse sowie an anderen sinnstiftenden Konzepten andererseits. (1) Die globalen Standortverschiebungen menschlicher Existenz in Raum, Zeit und Geschichte bewirken einen grundlegenden Wertewandel. (2) Begriffe wie nach-christliche Gesellschaft, Patchworkreligiosität, Orientierungsdschungel oder religiöse Briccolage kündigen diese Entwicklung als Folge einer strukturellen Individualisierung an, die im Kontext eines postmodernen Lebensverständnisses steht. Charakteristisch ist dabei die Herauslösung des Menschen aus traditionell kollektiven Lebenstraditionen, die bewirken, daß das Angebot an alternativen Sinn- und Wertestrukturen als Wahlmöglichkeit zur Verfügung steht, diese jedoch das Individuum vor die Notwendigkeit stellen, sich seine eigene Konstruktion von Wirklichkeit zu entwerfen. Dabei klingt schon an: Es bedarf wohl einer hohen Kunst, diese »briccolage« so zu einem personalen Ganzen zusammenzufügen, daß die individuelle Religiosität in Funktion und Ästhetik ihren Zweck erfüllen kann, dem Leben spirituellen Halt und transzendentale Orientierung zu geben. Nicht selten entstehen dabei Irritationen, Unsicherheiten und Desorientierung: Die alten Modelle und Orientierungsrezepte greifen nicht mehr, weil sie sich so weit von der Wirklichkeitserfahrung des einzelnen Menschen entfernt haben, daß sie diese nicht mehr zu repräsentieren vermögen.

In dem Maße, wie sich die Wahrnehmung und Interpretation von Wirklichkeit wandelt, ändert sich auch die Begrifflichkeit, mit der diese Erfahrungen adäquat zur Sprache gebracht werden. Der Kern der längst bekannten Verkündigungs- und Tradierungskrise liegt genau in diesem Problemfeld, insofern nämlich die Antworten der großen Kirchen heute an den existentiellen Fragen vieler suchender Menschen vorbeigehen, d.h. sprachlich nicht wohlgeformt sind im Blick auf die Lebenswirklichkeit neuzeitlich geprägter Menschen und daher immer mehr an Bedeutung im gesellschaftlichen Lebensalltag einbüßen.

Darüber hinaus verschärft ein zweiter Aspekt die Problemsituation: Die »individualisierte Gesellschaft« scheint nämlich zunehmend an der Unfähigkeit zu leiden , Kategorien wie Religiosität, Sinn, Werte, Glaube, Spiritualität usw. angemessen zur Sprache zu bringen. Sinnorientiertheit ist weitgehend zur Privatsache geworden, so daß besonders mit Blick auf die heutige Medienkultur der Eindruck entsteht, es sei einfacher, intime sexuelle Themen »zu outen«, als über den eigenen Glauben oder Nicht-Glauben ins Gespräch zu kommen. Was im kirchlich-religiösen Bereich fehlt, ist ein lebendiger und aktiver Austausch über das, was mich unbedingt angeht (Schleiermacher), doch hier scheint die Sprache zu versagen. Mitten im Zeitalter der Kommunikation und Information schwinden die gemeinsamen Formen des Austauschs über das »Warum«, das »Wozu« und das »Woraufhin«. Es fehlt an religiöser Kommunikationsfähigkeit und damit an der Fähigkeit, sich mitzuteilen, Sinnstrukturen auszutauschen, Werteorientierungen kritisch zu hinterfragen, Spiritualität zu (er)leben. Eine verhängnisvolle Situation in einer Epoche, in der der Mensch darauf angewiesen ist, seine Sinn- und Werteorientierung selbständig, ohne verpflichtende Vorgaben zu »designen« und umzusetzen.

Seelsorgerinnen und Seelsorger, Theologinnen und Theologen und alle, die im pädagogisch-psychologischen Bereich beratend tätig sind, können nur dann im Rahmen von Sinn- und Werteorientierung sowie spiritueller Entwicklung unterstützend tätig sein, wenn Sie in der Lage sind, die individuellen Modelle religiöser Wirklichkeit bei den einzelnen Menschen genau wahrzunehmen sowie durch kommunikatives Geschick bei der Exploration von existentiellen Fragen zu unterstützen, ohne dabei die eigene »Konstruktion religiöser Wirklichkeit« als Maßstab geltend zu machen. Dazu gehört die Bereitschaft, die eigene Versprachlichung religiöser Inhalte zu reflektieren aber auch die sprachpädagogische Kompetenz, die Verbalisierungen von Ratsuchenden auf ihre semantische wie syntaktische Wohlformuliertheit hin zu überprüfen.

Aufgrund dieser Beobachtungen wurde am Institut für Ökumenische Forschung der Universität Tübingen ein Seminarexperiment durchgeführt, das zum Ziel hatte, Methoden zu erforschen, die geeignet sind, theologisches und religiöses Sprechen auf seine lebenspraktische Relevanz hin kritisch zu erkunden und einzuüben. Das Seminar stand unter dem Titel "Gottesbilder. Theologiezentrierte Interaktion über den Zugang zum eigenen Glauben" und verstand sich als eine wissenschaftlich-experimentelle Lehrveranstaltung, die unter Zuhilfenahme einiger kommunikationspsychologischer Modelle nach einer adäquaten Weise persönlichen Sprechens über den eigenen Glauben suchte. (3)

Der kommunikationspsychologische Hintergrund

Die grundlegenden kommuniationspsychologischen Hilfsmittel des Seminars waren Elemente des Neurolinguistischen Programmierens (NLP). Ursprünglich verstand man zu Beginn der 70er Jahre unter diesem Begriff ein auf Beobachtung und Systematisierung beruhendes Vorgehen, das die wirksamsten Techniken und Kompetenzen therapeutischen Handelns zu modellieren suchte. Das Ergebnis war ein psychotherapeutisches Modell, das auf eindrucksvolle Weise die Art und Weise menschlicher Kommunikation sowie die Struktur subjektiver Erfahrung darstellen konnte. Heute werden die Möglichkeiten der Neurolinguistischen Kommunikation auch im Sinne eines mental orientierten lernpädagogischen Konzepts eingesetzt, das Menschen darin unterstützen will, ihr eigenes Leben zu organisieren (4) . In dem hier vorgestellten Seminar spielte vor allem das sogenannte Meta-Modell der Sprache eine zentrale Rolle, eines der ersten grundlegenden Modelle des NLP. Es wurde 1975 von dem Mathematiker und Psychologen R. Bandler und dem Linguisten J. Grinder erstmals beschrieben. (5) Bevor auf das Modell im einzelnen eingegangen wird, möchte ich vorab die wichtigsten Grundannahmen der Neurolinguistischen Kommunikation vorstellen, welche die Relevanz des Modells für die menschliche Suche nach Sinn erkennen läßt.

Das wichtigste Axiom läßt sich prägnant in Form einer Metapher widergeben: "Die Landkarte ist nicht die Landschaft ". Dieser Grundgedanke will besagen, daß wir nicht in der Lage sind, die Welt so wahrzunehmen, wie Sie insgesamt ist, sondern nur ausschnitthaft und modellhaft. Wir »erschaffen« uns gewissermaßen »unser« Modell von der Welt ähnlich einer Landkarte. Sie hilft uns, uns in der Welt zurechtzufinden. (6) Solche Einschränkungen der Wirklichkeitswahrnehmung begegnen uns auf drei Ebenen:

1. Einschränkungen auf der neurologischen Ebene: Wir nehmen mit Hilfe unserer Sinnesorgane nur einen Teil der existierenden Schwingungen (Töne, Farben, Sensorik, Gerüche) wahr.

2. Soziale Einschränkungen: Kulturelle und soziale Formgebungen bilden starke Filterbedingungen für unsere Verarbeitung von Erfahrung.

3. Individuelle Einschränkungen im Sinne eigener Prägungen und Konditionierungen. Sie kanalisieren die eigenen Erfahrungen von der Welt.

Die Fähigkeit, Wirklichkeit gefiltert wahrzunehmen, erlaubt es uns, ein Modell von der Wirklichkeit zu erschaffen, das einerseits so einfach ist, daß es handhabbar und übersichtlich bleibt, andererseits so komplex ist, daß es nützlich ist, um sich orientieren zu können.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Gebrauch unserer Sprache. Sie repräsentiert einerseits einen bestimmten Anteil unserer verarbeiteten Sinneswahrnehmungen, die in unserm bewußten und vorbewußten Selbst verankert sind, ferner macht sie diese Informationen mitteilbar, jedoch wiederum in eingeschränkter Form, um nur das »Wesentliche« nach Außen zu bringen. Sprache hat demnach zwei Funktionen: einerseits ist sie Repräsentantin einer sogenannten Tiefenstruktur des Menschen, darüber hinaus ist sie auch Mittlerin derselben in vereinfachter kommunizierbarer Form, der sogenannten Oberflächenstruktur. (7) Sprache ist sozusagen ein Modell unseres Modells von Wirklichkeit, denn die Sprache erscheint als Abbild unseres Modells von Wirklichkeit. Die Sprache drückt das aus, was auf dem je eigenen Landkartensystem verzeichnet ist und dessen wir uns im Moment des Sprechaktes gewahr werden.

Als Resumé können wir festhalten, daß Menschen im Verlauf ihres Lebens ein je eigenes Modell von Wirklichkeit erschaffen, mit dessen Hilfe sie sich in der Welt zurechtfinden können. Unsere jeweiligen Modelle unterscheiden sich dabei in dem Maße, wie jedes Individuum einzigartigen Charakter hat. Sie sind demnach nicht gleichartig und müssen einander vermittelt werden, um die unterschiedlichen Facetten von Wirklichkeit zu integrieren. Je mehr Facetten unser persönliches Modell integriert, um so flexibler vermag es auf neue, möglicherweise schwierige Situationen zu reagieren.

In diesem Sinne könnte man institutionalisierte Religion auch als Modell transzendentaler Wirklichkeitserfahrung bezeichnen und die ökumenischen Bemühungen zwischen den Religionen als Versuch, unterschiedliche Konstruktionen religiöser Wirklichkeit miteinander kompatibel zu machen. Ein sehr isoliertes, unkommunikatives religiöses System erscheint dann entsprechend unflexibel, und wird schließlich als sektiererisch oder fundamentalistisch empfunden.

Allerdings ist es von allergrößter Wichtigkeit, die Regeln und Prinzipien zu kennen, wie die Sprache geformt ist, die diese Modelle repräsentiert und wie sich der Übergang von der Tiefenstruktur zur Oberflächenstruktur vollzieht. Das Anliegen des Seminars stellte genau diese Frage - die Frage nach den Kriterien und Formulierungsstrukturen einer Religiosität und Spiritualität, die unter den Bedingungen heutiger Lebenswirklichkeitserfahrung eine nützliche, d.h. den Menschen befreiende und ihm Qualität und Wahlmöglichkeiten verschaffende Dimension aufscheinen lassen kann.

Sowohl die Art, wie wir Modelle unserer Welt erschaffen, als auch unsere geistige Fähigkeit, aus einer Tiefenstruktur eine Oberflächenstruktur zu formulieren sind gleichen Prinzipien unterworfen. Die Prinzipien, die im Prozeß der Modellbildung wie auch im Prozeß des Sprechens wirksam sind, um komplexe Zusammenhänge übersichtlich und handhabbar auszudrücken sind: die Generalisierung, die Tilgung und die Verzerrung . (8) Alle drei Prinzipien haben die Funktion, die Komplexität von Sachverhalten so zu vereinfachen, daß das daraus resultierende Modell der Welt nützlich ist, um sich in der Wirklichkeit zu orientieren. Das wichtigste Kriterium der Modellbildung ist also die Nützlichkeit. Nützlich? - in bezug auf was? - auf die Fähigkeit, sich als Individuum in der Welt zu orientieren und Tätigkeiten zu verrichten, die von ihrer Anlage her ökologisch sind, d.h. sich in bezug auf sich selbst und die Umgebung als förderlich erweisen. Förderlich ist kein spezifischer Begriff und kann unterschiedlich bewertet werden: förderlich im Sinne von sinnstiftend, lebenserhaltend, glücksbringend, beziehungsfördernd, orientierungsvermittelnd. Die inhaltlichen Bewertungen können allerdings nur vom Individuum selbst vorgenommen, für wichtig erklärt und angestrebt werden.

Die Funktionsweise von Generalisierung, Tilgung und Verzerrung soll nun im einzelnen kurz vorgestellt werden.


Kriterien der Modellbildung

1. Die Generalisierung

Mit Generalisierung ist die Eigenschaft beschrieben, Erfahrungen zu verallgemeinern, d.h. individuelle Ereignisse auf Geschehnisse zu übertragen, die eine gewisse Ähnlichkeit (Analogie) aufweisen. Wir müssen also nicht alles immer wieder neu am eigenen Leib erfahren, sondern sind in der Lage, ursprüngliche Erfahrungen zu übertragen. Wer in einem Schwimmbad schwimmen gelernt hat, kann auch in einem See schwimmen und wer auf einem Klapprad im Hof Fahrradfahren gelernt hat, wird es auch auf einem Rennrad auf der Straße können. Ein Kind, das beim Klettern vom Kirschbaum fällt, weil ein Ast bricht, wird lernen, zukünftig vorsichtiger auf Bäume zu klettern, oder brüchige Kirschbäume zu meiden. Ohne die Möglichkeit der Verallgemeinerung wären wir nicht in der Lage aus "Dummheit klug zu werden" bzw. aus der Geschichte und unserem Leben zu lernen. Allerdings sind Generalisierungen nicht immer nützlich, sondern können auch Blockaden und Einschränkungen hervorrufen. Wenn beispielsweise das Kind mit der Kirschbaumerfahrung plötzlich eine generelle Angst verspürt, irgendwo hinaufzusteigen, sei es an Zäunen, Leitern oder offenen Gittertreppen, dann ist die Erfahrung zu einer Blockade und Einschränkung geworden. Ebenso können auch religiöse Erfahrungen lebenseinschränkend wirken - denken wir an häufige Aussagen wie "Gottesdienste sind immer langeweilig" oder " Alle Gottesdienstbesucher sind scheinheilig. Sobald die Kirche um ist, sind sie schlimmer als alle anderen." Welche prägenden Erfahrungen mögen hier generalisiert worden sein?

2. Die Tilgung

Tilgungen sind die zweite Gruppe von modellbildenden Faktoren. Bei der Tilgung wird das Augenmerk nur auf einen bestimmten Ausschnitt einer Erfahrung gelenkt. Andere Erfahrungsanteile bleiben unberücksichtigt oder werden gar nicht wahrgenommen. Diese Fokussierung von Erfahrung ermöglicht die Konzentration auf das Wesentliche, so daß nur das wirklich Wichtige in Augenschein tritt. Getilgt werden Anteile, die im momentanen Erleben ablenkend oder irrelevant erscheinen. Wer beispielsweise ein Konzert besucht und während der Musik jedes Räuspern, Husten, Rascheln und wohlmöglich noch jede Person wahrnimmt, die kommt oder geht, wird wenig Genuß empfinden können. Hier helfen Tilgungen, sich ganz dem jeweiligen Interesse zu widmen. Auf der Ebene von Werten kann es jedoch wiederum zu fatalen Blockaden kommen. Ein Mensch, der früh gelernt hat, nicht gelobt zu werden, wenn er oder sie etwas geleistet hat, kann die Tendenz haben, jedes Lob, das er/sie bekommt zu »überhören« oder weniger zu bewerten, als die Kritik, die evt. auch geäußert wurde. Die Freude an Lob und Anerkennung wurde gelöscht. In der christlichen Tradition können auf unterschiedlichste Weise religiöse Anteile getilgt werden; man denke nur an die Menschen und Generationen, die ein Gottesbild hatten und haben, das überwiegend von der Vorstellungsweise eines richtenden, strengen und auf Gesetzestreue pochenden Gottes besetzt ist, während die Anteile der lebensbejahenden, freudigen und leidenschaftlichen Botschaft Jesu ausgeblendet werden.

3. Die Verzerrung

Die dritte Art der Modellbildung ist die Verzerrung. Bei Verzerrungsprozessen kann nicht generell von Verfälschungsprozessen im negativen Sinne gesprochen werden, wie es der deutsche Sprachgebrauch möglicherweise nahelegt. Ähnlich, wie bei einem Blick durch die Lupe das beobachtete Objekt größer (verzerrt) wahrgenommen wird, ermöglicht das Phänomen der Verzerrung, individuelle Erfahrungen umzuformen. Alle Arten der phantasievollen Gestaltung sind Verzerrungsprozesse. Ohne das Phänomen der Verzerrung gäbe es keine Maler, Kabarettisten, Schriftsteller oder Musiker. Verzerrung ist nötig für Kreativität, Erneuerung, Planung und Gestaltung. Für all diese Prozesse ist es wichtig, Vorhandenes umzuwandeln in Neues. Verzerrung hat damit in erster Linie eine positive Funktion. Sie kann allerdings einschränkend wirken, zum Beispiel, wenn wir beginnen, in unseren Gedanken zu »katastrophisieren«. Die Vorstellung, mit einem scharfen Küchenmesser beim Käseschneiden abzurutschen und sich tief in den Finger zu ritzen und den gleißenden Schmerz zu verspüren erscheint oft bedrohlicher, als das Ereignis selbst. Auch mit Blick auf Gottesbilder kann es »Zerrbilder« geben, die eine auf Freiheit hin orientierte Religiosität einschränken. Welche Zerrform in der Begegnung mit Geistlichen mag wohl ein Mensch haben, der sagt: "Ich fürchte, daß der neue Pfarrer genauso langeweilig predigen wird, wie der alte!"

Als Ergebnis könnte man die Kriterien der Modellbildung nochmals mit der Landkartenmetapher verdeutlichen, indem für die Erstellung einer Landkarte besonders drei Elemente Auskunft über die Beschaffenheit der Landschaft geben: zum einen sind die Bereiche einer Landschaft generalisiert, wobei ganze Städte zu einzelnen Punkten zusammengefaßt werden oder die vielen unterschiedlichen Straßen der Landschaft in drei Straßentypen unterteilt werden (Autobahn, Bundesstraße, Landstraße). Bei der Tilgung werden bestimmte Aspekte der Landschaft weggelassen, weil die Darstellung aller Informationen die Karte unübersichtlich erscheinen ließe. Daher gibt es für das gleiche Gebiet Karten mit Straßenverzeichnissen, andere speziell mit Wanderwegen und dritte, in denen die Bodenschätze und Industrieaufkommen verzeichnet sind. Habe ich nur eine dieser Karten zur Verfügung, bleiben mir die anderen Informationen über die Landschaft verborgen. Die Verzerrungen schließlich sind die unterschiedlichen Maßstäbe. So kann es sein, daß einmal die Stadt Berlin als riesiger Plan auftaucht und ein andermal als winziger Punkt auf einer Weltkarte.

Es wird deutlich, daß die flexibelsten Modelle der Welt in Form von sinnvoll aufgebauten Atlanten vorzufinden wären, in denen die unterschiedlichsten Karten zur Verfügung stünden, zusammen mit Einlegefächern, die neue unbekannte Karten aufnehmen können. Die Voraussetzung, daß man sich in einem solchen Atlas gut zurechtfindet, d.h. die dazugehörige Welt mit Hilfe der Karte erfassen kann, ist eine sorgfältig erstellte Legende, die Auskunft darüber gibt, wie die unterschiedlichen Formen von Generalisierung, Tilgung und Verzerrung zu erkennen sind. Diese Legende im Sinne der sprachlichen Modellbildung ist das sogenannte Meta-Modell der Sprache.

Das Meta-Modell der Sprache

An den oben dargestellten Beispielen über die Grundprinzipien der Modellbildung eines Menschen, die nützlichen oder einschränkenden Charakter haben können, wird bereits deutlich, daß sich die Art der Einschränkung - so es eine gibt - widerspiegelt in der Ausdrucksweise. In dem Moment, in dem ich beginne, etwas, was mir in den Sinn kommt, zu formulieren und auszusprechen, d.h.: es aus der Tiefenstruktur in eine Oberflächenstruktur überführe, unterliegen meine Formulierungsmuster den Phänomenen von Generalisierung, Tilgung und Verzerrung. Besonders in problematischen, das Leben einschränkenden Situationen kann es daher nützlich sein, die Redeweise auf sprachliche Fehlgeformtheiten hin zu untersuchen, um einschränkenden Aspekten auf die Spur zu kommen. Dazu ist es wichtig, zu überprüfen, ob Modelleinschränkungen aller Art auch sprachlich erkennbar sind. Genau dieses Anliegen hatten die beiden »Modellbauer« Bandler und Grinder, die diese Vorgehensweise bei der Beobachtung von kompetenten Therapeutinnen und Therapeuten wahrnehmen konnten. (9) Was diese intuitiv machten, versuchten die beiden Beobachter in ein erlernbares Schema zu bringen, das sie dann als Meta-Modell der Sprache bezeichneten, weil es ein Modell ist, das die Wohlgeformtheit von Sprache charakterisiert.

Das Meta-Modell der Sprache umfaßt drei wichtige Bereiche:

1. Es definiert die Möglichkeiten sprachlicher Fehlgeformtheit.

2. Es beschreibt, wie die Fehlformungen erkannt werden können.

3. Es gibt eine Fragetechnik vor, die es ermöglicht, Fehlgeformtheiten anzusprechen.

Ein Überblick über die für diesen Kontext relevanten »Meta-Modellverletzungen« ist in der folgenden Tabelle enthalten (10) . Im Anschluß an jede Kategorie befinden sich zur Übung und Vertiefung einige Beispielsätze, deren relevanter Satzteil markiert ist.


FEHLGEFORMTHEITEN BEI GENERALISIERUNGEN

ART DER VEREINFACHUNG MERKMAL UND IDENTIFIKATION MÖGLICHE FRAGESTELLUNG

Fehlender Bezugsindex

Jeder ist in religiösen Dingen sensibel.

Nach Subjektspezifikation suchen Wen betrifft das?

Wer genau ist so?

Universalquantoren

Nie ist er da, wenn man ihn braucht.

Worte wie: immer, niemals, nie Wann ist er denn da?

Wirklich nie?

Dichotomes Denken

Es ist falsch , ein 2. mal zu heiraten.

Schwarz-Weiß Begriffe wie gut/schlecht usw. Für wen gilt das?

Was würden Sie tun?

Äquivalenzen

Sie schreibt mir nicht. Sie liebt mich nicht.

Suche nach implizitem

Kausalbezug: weil...darum

Wenn Sie jemandem nicht schreiben heißt das, daß...


Beispielsätze :

1. Gebetstexte sind für mich nur leere Worthülsen.

2. Immer scheitert er an denselben Fehlern, die er macht.

3. Es ist falsch Wiederverheiratete zur Kommunion zuzulassen.

4. Ich habe Gott nie gespürt . Es kann Gott nicht geben .


FEHLGEFORMTHEITEN BEI TILGUNGEN

ART DER VEREINFACHUNG MERKMAL UND IDENTIFIKATION MÖGLICHE FRAGESTELLUNG

unvollständige Verben

Er ist nicht sehr zuverlässig gewesen.

Stelle die Frage: wie tut er/sie das? In Bezug auf was?

In Blick auf wen?

Adverbien

Peinlicherweise war die Orgel verstimmt.

Wandle um in: es ist peinlich, daß... Für wen war das peinlich?

Warum war das peinlich?

Modaloperatoren

Man muß lernen, sich anzupassen.

Frage nach den Konsequenzen Was hindert Sie daran?

Was würde passieren?

vergleichende Adjektive

Das Wichtigste ist x.; ich mache lieber x.

Wo ist der Vergleichspunkt? 'X' in bezug auf was?

Lieber als was?


Beispielsätze :

1. Der Religionslehrer hat mich damals sehr verletzt .

2. Logischerweise versteht sich Kirche als Einheit in der Vielfalt.

3. Man muß aus der Kirche austreten, damit die mal was merken.

4. Das Wichtigste ist, zu wissen was man glaubt.


FEHLGEFORMTHEITEN BEI VERZERRUNGEN

ART DER VEREINFACHUNG MERKMAL UND IDENTIFIKATION MÖGLICHE FRAGESTELLUNG

Nominalisierungen

Meine Gebete sind nicht erhört worden.

Ein Prozeß ist substantiviert Wie haben Sie gebetet?

Was tun sie, wenn Sie beten?

Vorannahmen

Der Pfarrer wird wieder schlecht predigen.

Implizite Annahme: er predigt schlecht Worin zeigt sich das?

Was heißt schlecht predigen?

implizite Begründungen

Ich würde ja gerne, aber ich kann nicht.

Suche nach »ja...aber« Strukturen Was hält Sie davon ab?

Was wäre, wenn...?

Ursache - Wirkung

Er macht mir schreckliche Angst.

Etwas »verursacht« Gefühle Wie genau macht/ verursacht er das bei Ihnen?
Gedankenlesen

Sie will nur mehr Aufmerksamkeit.

Interpretation von Wahrnehmungen Woran erkennen Sie das?

Was macht Sie so sicher?


Beispielsätze:

1. Meine Scheidung ist eine schmerzliche Erfahrung .

2. Ich fürchte, das Pfarrfest wird wieder so ein Reinfall wie das letzte mal .

3. Wenn er mir verzeihen würde, könnte ich ja nochmal von vorne anfangen.

4. Die leere Kirche schreckt die meisten Menschen vom Gottesdienst ab .

5. Ich merke ganz genau, daß der Gemeinderat mich ablehnt .

Seminarerfahrungen mit dem Meta-Modell der Sprache im Kontext der Theologie

Ursprünglich war das Seminar konzipiert für die Erweiterung von Kompetenzen in der seelsorglichen Gesprächsführung. Doch bald zeigte sich, daß sich die Nützlichkeit des Modells bei weitem nicht in der Anwendung im seelsorglichen Gespräch erschöpft. Der Anwendungsbereich des sprachlichen Meta-Modells dehnte sich aus in den Bereich der Textanalyse, der sprachlichen Selbstanalyse und in den Bereich der Gruppeninteraktion.

1. Das Meta-Modell im Einsatz bei seelsorglichen Gesprächen

Die wichtigsten Fertigkeiten, Meta-Modellverletzungen zu identifizieren und durch Fragetechniken anzusprechen, lernten die Studierenden durch theoretische Einheiten, Übungen in Kleingruppen und Zweiergesprächen sowie durch ein Lerntraining, das speziell zur Automatisierung der neuen Technik entworfen wurde. Im Rahmen von seelsorglichen Gesprächen zeigte das Modell noch die direkteste Ähnlichkeit zur seinem ursprünglichen Sitz im Leben, nämlich der Beratung und Therapie. Die Möglichkeit, in Gesprächen auf Meta-Modellverletzungen zu achten und diese anzusprechen, wurde von den Studierenden zwar als nützlich, aber auch als manipulativ empfunden, weil die Methode einen hohen konfrontativen Charakter hat und die Intensität der Gespräche sehr verstärkte. In der Anfangsphase bestand meist eine gewisse Scheu, sich auf die Direktheit des Modells einzulassen, um nicht aufdringlich zu wirken. Die Grenze bestand in der Gefahr, das Modell überzustrapazieren, indem die beratende Person als aufdringlich, konfrontativ oder bohrend empfunden wurde. An dieser Stelle wurde deutlich, daß ein hohes Maß an Sensibilität und sprachlicher Flexibilität nötig ist, um trotz der Fragen eine fließend vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre aufrecht zu erhalten. Das Meta-Modell der Sprache als isolierte Technik in persönlichen Gesprächen religiöser Art einzusetzen, ist demnach wenig förderlich und kann zu Verärgerung der ratsuchenden Person führen. Eingebettet dagegen in eine personenzentrierte Art der Gesprächsführung und flexibel angewandt, ist es überaus hilfreich, Gespräche zu intensivieren und zielgerichtet auf den Kern der Thematik zu stoßen.

2. Das Meta-Modell als Analysemodell für den Umgang mit theologischen Texten

In diesem Bereich hat es die größten Überraschungen gegeben. Die Studierenden hatten mehrmals die Aufgabe, theologische Fachliteratur mit Hilfe des Meta-Modells auf ihre Aussagekräftigkeit hin zu überprüfen. Dabei wurde zum einen die Erfahrung gemacht, daß ein direkter Zusammenhang von »Unklarheit« oder »Schwammigkeit« und der Häufigkeit von Meta-Modellauslassungen besteht, zum anderen wurden Ursachen entdeckt, warum häufig kirchlich-theologische Äußerungen von ihren Adressaten nicht verstanden und angenommen werden. Hier konnte das Meta-Modell der Sprache als kritisches Instrument eingeführt werden, um die sprachliche Wohlgeformtheit bei theologischen Texten zu überprüfen, die den Anspruch erheben, den Rezipienten klare Orientierungshilfen zu geben.

Um diese Beobachtung besser illustrieren zu können, seien hier zwei Textausschnitte exemplarisch eingefügt, die bereits rein optisch erhebliche Mängel in der Wohlgeformtheit ihrer Sprache verraten. Bei den Texten wurden auffällige und für die Verstehbarkeit relevante Meta-Modellverletzungen hervorgehoben, wobei der Bereich der Generalisierungen fett markiert ist, auftretende Löschungen unterstrichen wurden und Verzerrungen kursiv gezeichnet sind.

Das erste kurze Textbeispiel stammt aus der Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre an die Bischöfe der Katholischen Kirche "Zur Seelsorge mit Wiederverheirateten Geschiedenen":

Ungeklärte Vorannahmen: 1. es gibt Grenzen. 2. Kirche kann grundsätzlich von etwas Dispens erteilen.

Die wichtigesten Fragestellungen von Betroffenen könnten sein:

1. Wer verbirgt sich hinter "die Kirche"

2. Woran merkt man die Bemühungen?

3. Wie erfahren sie die Einladung?

4. Was, wie, wo, warum genau sind die Grenzen?

5. Von wem bekam die Kirche die Dispensgewalt?

6. Wie spricht Gott gerechtes aus?

Nimmt man den Erklärungscharakter, den das Schriftstück beansprucht ernst, erscheint es schwierig, dem Anliegen eine nachvollziebare Argumentationsstruktur abzugewinnen.

Das zweite Beispiel stammt aus dem Evangelischen Erwachsenenkatechismus, der von sich im Geleitwort behauptet: "... Es ist also ein Buch, an dem lebendige Auseinandersetzungen und sogar praktische Seelsorge in hohem Maße mitgeschrieben haben. Es ist weniger ein »erdachtes«, »gemachtes« oder »konstruiertes«, sondern ein gewachsenes Buch." (11)

[Wenige Zeilen später:]

Beim Anblick dieser Zeilen wird deutlich, was die Ursache sein könnte für die abweisende Haltung vieler Menschen gegenüber katechetischen Unterweisungen. Ein Großteil wichtiger Informationen über die im Text angesprochene Thematik ist verschollen. Und dabei steht der Textauszug unter der Rubrik »Information«. Hier, wie an vielen anderen Stellen wird der Katechismus nicht dem gerecht, was er in seiner Darstellung zu sein beansprucht, nämlich ein Werk, das ausgeht von den Fragen seiner Zeitgenossen, um dann den christlichen Glauben als Antwort auf diese Fragen zu geben, um die Situation des Menschen zu erhellen (vgl. S. 36). Der Katholische Erwachsenenkatechismus - um dies der Gerechtigkeit halber anzumerken - unterscheidet sich in der Struktur kaum von dem obigen Textbeispiel. Texte wie diese, die voll sind von semantischen Fehlgeformtheiten, die nahezu jedes Verb unspezifisch lassen, die überquellen von Nominalisierungen und Generalisierungen münden in ein Sprachspiel, das sich von den lebenspraktischen Fragen religiös interessierter Menschen so sehr unterscheidet, daß entweder Leere, vielleicht Verwirrung, oder im besten Fall, nach einer eingehenden Analyse, ein Berg von Anfragen an den Text zurückbleibt, der jegliche spirituelle Lebendigkeit, jeden Versuch, die Dynamik einer fesselnden Botschaft, und vor allem die Anbindung theologischer Weisheit an die Lebenswirklichkeit gläubiger Menschen ersticken muß und damit auch das pädagogische Ziel, Menschen im Glauben zu begleiten und zu stärken, verfehlt.

Hier muß allerdings einem Mißverständnis vorgebeugt werden: Der Anspruch lautet nicht, Texte dürften überhaupt keine Verallgemeinerungen, Tilgungen oder Verzerrungen enthalten. Dies ist schon grammatikalisch kaum möglich, ohne die Lesbarkeit eines Textes völlig zunichte zu machen. Was kritisiert wird, ist ein Sprachstil, der so hochgradig abstrahiert und verallgemeinert ist, daß er von der menschlichen Erfahrungsgröße nicht mehr nachvollzogen werden kann. Wünschenswert wäre eine theologische Sprache, die darum bemüht ist, eigene sprachliche Verkürzungen aufzudecken und im Bedarfsfall zu konkretisieren. Genau dies war ein weiterer Erfahrungsaspekt des Seminars.

3. Die Analyse der eigenen Fehlgeformtheiten im theologischen Sprachgebrauch

In verschiedenen Seminarphasen hatten die Studierenden theologische Texte schriftlich zu interpretieren. Dabei kam es in der Aufgabenstellung darauf an, die im Text erfaßte Sache so persönlich wie möglich in eigenen Worten zu formulieren und zwar so, daß das Ergebnis der eigenen Haltung, dem eigenen Denken und Empfinden entsprach. Bereits zu Beginn der ersten Sitzung, also noch vor der Vermittlung des Meta-Modells, wurde ein solches Experiment durchgeführt. Später, nachdem die Studierenden mit den Elementen des Meta-Modells vertraut gemacht worden waren, schienen sie häufig überrascht, wie viele sogenannte Meta-Modellauslassungen in ihren eigenen Texten verborgen waren. Erst jetzt wurden sie ihnen bewußt und konnten nun hinterfragt oder ergänzt werden. (13) Eine ideale Möglichkeit, eigene Predigten zu reflektieren - bevor sie gehalten werden - wie sich später herausstellte. Darüber hinaus tauchte eine Reihe sozusagen »theologieträchtiger« Fragen und Diskussionspunkte auf. Ein besonderer Schwerpunkt galt dabei der Kategorie der Nominalisierungen, die, der Häufigkeit nach zu urteilen, eine Spezialität theologischer Sprache zu sein scheinen. Heftig wurde darüber diskutiert, ob Begriffe wie »Weihnachten« oder »Schöpfung« nun Nominalisierungen, also umgewandelte Prozeßworte, oder echte Nomen seien. Die sicherste Form, Nomen zu identifizieren, ist die Vorstellung, man könnte den Gegenstand wiegen oder in einen (großen) Container legen. (14) Beispielsweise kann man ein »Gebetbuch« wiegen; es hat ein Gewicht und es kann auch in einen Container gelegt werden; es ist also gegenständlich (ein Nomen). Bei dem Begriff » Kirche« muß bereits unterschieden werden, ob von dem Bauwerk die Rede ist (= Nomen), oder an »Kirche« im Sinne von »Volk Gottes«, »Institution« oder »mystischer Leib« gedacht wird (= Nominalisierungen). Anders bei »Weihnachten«. Weihnachten paßt in keinen Container und hat kein Gewicht; es ist nicht gegenständlich, also eine Nominalisierung. Wie könnte man aber das nominalisierte Prozeßwort Weihnachten auch wirklich in einen Prozeß umwandeln? Dazu stellen Sie sich bitte folgende kurze Szene vor:

Eine Person beklagt sich in der Adventszeit:

"Dieses leidige Weihnachten . Bin ich froh, wenn die Festtage vorbei sind. Diese ewige Hektik macht mich noch ganz krank."

Und die zuhörende Person antwortet:

"Was würde passieren, wenn Sie dieses Jahr sich ganz persönlich einladen würden, mit ihren liebsten Menschen diese besondere Nacht zu weihen?"

Wäre dies nicht ein spannender Einstieg für eine Ansprache im Advent?

Manchmal enthalten Nominalisierungen Prozesse, die im Erleben der jeweiligen Person ganz anders aussehen als in der ursprünglichen Botschaft (hier: Hektik statt Feier). Das tückische an Nominalisierungen ist die Unbeweglichkeit und Statik, die sie suggeriert. Das Grundempfinden, das die Person spürt, ist Ausgeliefertsein und Unfreiheit durch die Kopplung dreier Nominalisierungen: Weihnachten-Hektik-Festtage. Statik macht hilflos und vermittelt ein Gefühl von Enge, wie sie oben implizit deutlich hervortritt. Erst die Umwandlung in einen sinnesspezifischen wahrnehmungsfähigen Prozeß ermöglicht Wahlmöglichkeiten und eigenen Gestaltungsspielraum.

4. Einsatz des Meta-Modells in Gesprächskreisen und Bibelgruppen

Als eine weitere, sehr hilfreiche Möglichkeit kann das Modell für die Unterstützung von Gesprächskreisen in Pfarrgemeinden dienen. Besonders Gruppierungen, die sich regelmäßig treffen, um die Botschaft des Evangeliums für das eigene Leben verstehbar zu machen (im katholischen Raum oft als Bibel-teilen bezeichnet), könnten von einer kompetenten Unterstützung profitieren, die sensibel genug ist, die religiösen Gefühle und spirituellen Regungen aus der Gruppe aufzunehmen und auf entsprechende sprachliche Verkürzungen zu befragen. Auf diese Weise kämen schnell intensive Gespräche in Gang, die eine wichtige Übersetzungsarbeit leisten könnten zwischen den biblischen Aussagen und dem eigenen Erleben, das sich mit diesen Textstellen bei den einzelnen verbindet. Wichtig ist dabei, daß es hier nicht um eine theoretische Vermittlung des Meta-Modells in solchen Gruppen geht, sondern um eine indirekte Unterstützung durch einen Betreuer oder eine Betreuerin der Gruppe. Im Laufe der Zeit wird die Runde in entsprechender Atmosphäre automatisch lernen, sich sprachlich wohlgeformter auszudrücken oder Fehlgeformtheiten intuitiv zu erkennen und anzusprechen.

5. Analyse von Bibeltexten

Die Anwendung des Meta-Modells auf biblische Texte ist nicht so einheitlich möglich. Hier werden die Fragen ja nicht an die interpretierende Person oder eine bibellesende Gruppe gestellt, wie oben, sondern an den Verfasser des Textes selbst. Allerdings eignen sich dafür nur bestimmte Textgattungen. Bei Metaphern, Geschichten oder Gleichnissen ist das Meta-Modell der Sprache geradezu kontraindiziert, weil bei der Analyse von »sinnbildlichen Geschichten« diese sogleich ihre Funktion verlieren würden. Metaphern und Gleichnisse haben nämlich genau die Intention, zu löschen, zu generalisieren und zu tilgen, um in einem umfassenden Sinn nachdenklich zu machen und Glaubenserfahrungen zu evozieren. (15) Bleiben also die Verkündigungs- und Bekenntnistexte. Exemplarisch wurden zwei Paulustexte untersucht (Röm 4,1-6 und Röm 11, 33-36). Die Aufgabe bestand darin, die Meta-Modellauslassungen zu markieren, die entsprechenden Fragen zu stellen und nach eigener theologischer und persönlicher Kenntnis zu ergänzen. Das Meta-Modell wurde gewissermaßen als zusätzliches hermeneutisches Instrumentarium eingesetzt. Nachfolgend ein Beispiel, wie eine solche Ergänzung eines biblischen Textes aussehen könnte, wobei jedoch beachtet wurde, die Perspektive des Paulus und seiner Zeit beizubehalten und nicht auf heute zu transformieren.

a) Textmarkierung: Tilgung ; Nominalisierung

Röm 11,33 (Einheitsübersetzung)

b) Fragestellung

1. Was ist für Paulus so tiefgreifend, von dem er sagt, daß es erkennbar sei und ihn reich und weise mache?

2. Für wen ist das, was Gott entscheidet, so unerforschlich und für wen ist die Ausrichtung unausdenkbar; und warum ist das so wichtig, zu erkennen?

c) Die Ergänzung des Satzes anhand der Fragen

Das Ziel dieser Textumwandlung kann natürlich nicht sein, die richtige oder wahre Ergänzung eines biblischen Zeugnisses vorzunehmen, sondern ist ein Versuch, mit Hilfe der eigenen theologischen Kompetenz und persönlichen spirituellen Einfühlsamkeit einen Ausschnitt eines religiösen Bekenntnisses besser zu erfassen. Dabei wird der Text vor allem dadurch belebt, daß die gestellten Meta-Modellfragen dazu beitragen, daß Informationen gewonnen werden sowie Begründungszusammenhänge aufgedeckt werden.

Zum Abschluß

Welche Bedeutung hat das Meta-Modell der Sprache für die Theologie? Ich möchte die Frage mit dem einem Zitat aus dem ersten Petrusbrief zum Abschluß bringen:

"Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach dem Grund der Hoffnung fragt, die euch erfüllt" (1Petr 3,15). Dieser Satz könnte paradigmatisch sein für die Arbeit mit dem sprachlichen Meta-Modell im theologischen Umfeld. Denn hier liegt gerade die Stärke der von Bandler und Grinder vorgenommenen Systematisierung des »outcomes« der menschlichen Sprache. Das Meta-Modell will den Dingen »auf den Grund« gehen, indem es Informationen sammelt, die Einschränkungen im Modell der sich mitteilenden Person aufdeckt und semantische Fehlgeformtheiten hinterfragt. Bezeichnenderweise ist gerade die obige Stelle des 1. Petrusbriefs in der Einheitsübersetzung sehr "fehlgeformt" übersetzt, wenn dort nur von der Hoffnung an sich und nicht dem Grund () der Hoffnung gesprochen wird, von dem man Rechenschaft geben soll.

Das Meta-Modell der Sprache kann im theologischen Kontext die Funktion wahrnehmen, sprachliche Fehlgeformtheiten aufzudecken sowie Fragen zu stellen, die die Wohlgeformtheit religiöser Rede unterstützt und damit einen Beitrag leistet, die bestehende Kluft zwischen theologisch-wissenschaftlicher Sprache einerseits und religiös motivierter Sprache andererseits zu überwinden, bzw. eine Vermittlerrolle einzunehmen, die beide Seiten herausfordert, die eigenen Tiefenstrukturen zu erkunden mit dem Ziel, das »gemeinte« und das »gesagte« in eine möglichst große Übereinstimmung zu bringen. Damit bestünde die Hoffnung Menschen zu unterstützen, einen für sie lebensrelevanten Zugang zu den eigenen Sinn- und Wertekategorien zu ermöglichen und diese in die Dimensionen einer geistig-spirituell motivierten Zugehörigkeit einzubetten.

Stefan Schumacher ist Diplom-Theologe und ausgebildet im Neurolinguistischen Programmieren (NLP), klientenzentrierter Gesprächsführung sowie in Ehe-, Familien- und Lebensberatung. Er arbeitet als Kommunikationstrainer und psychologischer Berater, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ökumentische Forschung der Universität Tübingen und promoviert derzeit im Fachbereich Erziehungswissenschaft an der Universität Tübingen.


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Institut für Ökumenische Forschung, Nauklerstr. 37a, 72074 Tübingen

E-Mail-Adresse: uoiss01@comlink.zdv.uni-tuebingen.de

Privatadresse: Derendinger Str. 109, 72072 Tübingen, Fon: 07071 791754


ANMERKUNGEN

1. Vgl. hierzu A. Dubach/R. J. Campiche (Hg.), Jede(r) ein Sonderfall? Religion in der Schweiz: Ergebnisse einer Repräsentationsbefragung, Zürich/Basel 1993; A. Tretzel, Wege zum rechten Leben. Selbst- und Weltdeutungen in Lebenshilferatgebern, Pfaffenweiler 1993.

2. Vgl. U. Baumann, Projektion und Symbolbildung. Thesen zur >Konstruktion< religiöser Wirklichkeit, in: religionspädagogische Beiträge Nr. 32, 1993, S. 3-20.

3. Das Seminar wurde durchgeführt im WS 1994/95 und im SS 1995 bei Prof. Dr. Urs Baumann in Zusammenarbeit mit Dipl.Theol. Stefan Schumacher.

4. Als Einführungswerke in das Neurolinguistische Programmieren siehe: R. Weerth, NLP und Imagination, Paderborn 1992; W. Bachmann, Das neue Lernen. Eine systematische Einführung in das Konzept des NLP, Paderborn 3 1993.

5. Erstmals erschienen unter dem Titel: The Structure of Magic, Palo Alto 1975; deutsche Ausgabe: R. Bandler; John Grinder, Metasprache und Psychotherapie. Die Struktur der Magie (Bd.1), Paderborn 7

6. Kommunikationspsychologische Beiträge zum Thema Konstruktivismus vgl. P. Watzlawick, Die erfundene Wirklichkeit, München 1981; ders., Wie wirklich ist die Wirklichkeit, München 1982.

7. Die Unterscheidung von Oberflächen- und Tiefenstruktur haben Bandler und Grinder einer Richtung der Psycholinguistik entliehen, die zwar hilfreich für die Entwicklung des Modells war, jedoch nicht durchgängig auf das Meta-Modell der Sprache übertragen werden kann. Ausschlaggebend ist hier N. Chomskys Werk: Language and Mind, New York 1968.

8. R. Bandler/J. Grinder, S. 35.

9. Beobachtet und ausgewertet wurden das Therapieverhalten von dem Hypnotherapeuten Milton Erickson, der Familientherapeutin Virginia Satir und dem Gestalttherapeuten Fritz Perls.

10. Die Tabelle ist in Anlehnung an: R. Bandler/J. Grinder, S. 63 ff; L.C. Bandler, Wieder Zusammenfinden. NLP-Neue Wege der Paartherapie, Paderborn 6 1992; sowie D. Reventstorf, Kritik der Struktur der Magie, in: Hypnose und Hypnotherapie nach Milton H. Erickson (hg. V. B. Peter), München 1985, S. 252-253.

11. Evangelischer Erwachsenenkatechismus, Gütersloh 1971, S. 13.

12. Ebd. S. 329f.

13. Zur Überprüfung des Lernerfolgs wurden die umformulierten Texte der Studierenden aus der ersten Sitzung sowie der letzten Sitzung des Seminars transkribiert und die Meta-Modellauslassungen ausgezählt. Dabei konnte bei einem Großteil der Studierenden ein signifikanter Rückgang typischer Meta-Modellauslassungen verzeichnet werden.

14. Vgl. R. Bandler/J. Grinder, S. 104.

15. Diese Art der sprachlichen Formulierung, die sich invers zum Meta-Modell der Sprache verhält, wird im NLP als das sogenannte »Milton-Modell« bezeichnet. (vgl. J. Grinder/ R. Bandler, Therapie in Trance. Hypnose: Kommunikation mit dem Unbewußten, Stuttgart 5 S. 316ff.). Es spiegelt Formulierungsmuster der hypnotischen Redekunst Milton Ericksons wider. Ziel einer solchen sprachlichen Struktur ist es, auf einer anderen mentalen Ebene Denk- und Lernprozesse anzuregen, die nicht dem bewußten Verarbeitungprozeß unterliegen. Viele dieser Formulierungsmuster sind auch in biblischen Geschichten und Gleichnissen wiederzufinden.